DIE PORTUGIESISCHEN, GRIECHISCHEN, SPANISCHEN WAHLEN UND DIE LINKE STRATEGIE

Die linke Bescheidenheit und die Hegemonie der Eliten

Die konservativen Regierungsparteien in Portugal haben gestern 13 Punkte gegen 2011 verloren, sind von 50,4 % auf 36,8 %geschrumpft, wenn man PSD und CDS von 2011 zusammen nimmt; selbst wenn man nur den PSD rechnet, gab es noch immer einen Verlust von 2 Punkten. Dafür hat die alternative konservative Partei, die Sozialdemokraten (PS) gute 4 Punkte gewonnen, von 28,1 % auf 32,4 % – man muss hier aufpassen, denn die extrem Konservativen des PSD heißen offiziell Sozialdemokraten, der PS nennt sich „sozialistisch“.

Die Linke hat auch einige Gewinne gemacht. Die Kommunisten+Grünen stiegen leicht von 7,9 % auf 8,3 %. Der Linksblock (BE), eine reformistische Gruppe, die der Europäischen Linkspartei zugehört, hat sich verdoppelt, von 5,2 % auf 10,2 %. Daneben gibt es noch eine Kommunistische Arbeiterpartei, die bei 1,1 % stand und steht.

Schlecht?

Man muss schon sehr bescheiden sein, um dies nach sechs Jahren Austeritätspolitik als Erfolg zu betrachten. Ende 2014 stand das BIP um -8 % „real“ hinter jenem von 2008. Die Ungleich­heit hat sich verschärft. Der Bevölkerung geht es gar nicht gut. Und doch wählen vier Fünftel unter den Menschen noch jene Parteien, welche die Austeritätslinie vertreten und an dieser Politik festhalten. Wenn irgendwo, zeigen sich hier Macht und Hegemonie der Eliten. Aber solange Menschen noch wählen dürfen, müssen diese Kräfte auch irgendwo ansetzen.

Man wird sich also wohl fragen müssen, was die Linke falsch macht. Und damit sind wir wieder bei der Strategie-Debatte.

„Die Proletarier haben nichts zu verlieren als ihre Ketten.“ Dieser Satz aus dem Kommunisti­schen Manifest von 1847, der vorletzte, war schon damals nicht so völlig richtig. Vergessen wir nicht: 7 Jahrzehnte zuvor schrieb Adam Smith: „Der Palast eines europäischen Fürsten übersteigt die Unterkunft eines fleißigen und sparsamen europäischen Bauern nicht so deut­lich, wie dessen Heim jener vieler afrikanischen Könige, die doch die absoluten Herren über Leben und Freiheiten von Zehntausenden nackter Wilder sind.“ – Er schreibt damals zwar wohlweislich nicht von den elenden Proletariern in ihren Londoner und Birminghamer Löchern. Aber trotzdem ist der Vergleich und ihr Sinn klar: Es geht Euch besser als fast allen Menschen in der Dritten Welt – die damals noch nicht so hieß und heute nach den Spin-Doktoren nicht nur der liberalen Intellektuellen nicht mehr so genannt werden darf.

Die europäischen Unterschichten haben etwas zu verlieren. Das gilt selbst für jene in Portu­gal, wo vielleicht manche sich noch an ihre Soldatenzeit in Angola und Moçambique in der Zeit der Diktatur erinnern. Und heute steht die Dritte Welt wieder vor der Tür, ganz wort­wörtlich, klopft an, bisweilen sogar mit deutlicher Neigung, die Tür aufzubrechen. In Portugal gar wandern manche Menschen nicht in die hoch entwickelten Nachbarn aus, sondern nach Angola, wo sie unter dem korrupten Regime mehr persönliche Möglichkeiten sehen.

Und in Österreich?

Nach der für die Regierungsparteien so völlig offensichtlichen Katastrophe der oberöster­reichischen Wahlen trat der Bundesgeschäftsführer der SPÖ, ein gewisser Schmidt, im ZIB 2 auf. Es war ein jämmerliches Bild. Er nahm einfach die Wirklichkeit nicht zur Kenntnis, die Unzufriedenheit der ehemaligen Kern-Klientel der SPÖ. Er versuchte, den Auftritt für die jetzt schon gescheiterte Linie des Wiener Wahlkampfs zu nützen: Augen zu und durch, und ja nichts ändern! In wenigen Tagen wird er ja sehen, was dies gebracht hat.

Ich kann mir nicht helfen. Mich erinnert dieser jämmerliche Auftritt an unsere eigenen Debatten innerhalb der konsequenten Linken. Unsere Frage heißt meist auch: Wie können wir unsere Inhalte an die Menschen bringen – „besser kommunizieren“ heißt dies bei den Apologeten der Regierung. Aber wir müssen uns doch wohl auch fragen: Treffen wir die Erfahrung der Menschen? Ist vielleicht an unserer Analyse etwas defizient?

Und es gibt einen Punkt, einen entscheidenden Ausgangspunkt, wo wir falsch ansetzen: Die Erfahrung vieler Menschen und ihr Gefühl, implizit wie oft auch explizit, ist: Es ist uns noch nie so gut gegangen. Und hier setzen die Ängste ein: Dieser bescheidene Wohlstand soll erhalten bleiben. Ein Linker, der dies nicht ernst nimmt, ist ein Zyniker.

Die Antwort der Linken ähnelt jener in den Anfang-1970er. Damals kamen Leute wie Ernest Mandel nach Wien, und erzählten uns: Die Weltrevolution steht vor der Tür. In Schottland wird eben wieder gestreikt. Und sogar die österreichischen Arbeiter bei Hukla im Süden von Wien stellen sich auf ihre Füße und streiken.

Wenn wir Wahlergebnisse wie jene in Portugal als Vorzeichen einer politischen Wende nehmen, dann sind wir bereits ganz und gar im hegemonialen Sumpf der Eliten und ihrer Intellektuellen versunken. Um nicht missverstanden zu werden: Solche bescheidenen Zeichen des Aufbegehrens sind nicht gering zu schätzen. Aber eine Wende zeigen sie nicht notwendig an. Sie verschwinden mit dem nächsten Konjunktur-Aufschwung, und den wird es auch wieder geben, wenn er auch bescheidener sein wird, als es alle möchten.

Es geht u. a. auch darum, die Leistungen des Kapitalismus richtig einzuschätzen und seine Flexibilität zu erkennen. Nur nebenbei: Das war auch der Startpunkt des Marxismus. Seine Aussage war ja nicht: Wir alle verelenden immer mehr. Diese Behauptungen gab es auch, aber sie haben sich für uns, die Bürger der Ersten Welt, als vollkommen falsch erwiesen. Marx selbst hat ziemlich kräftig dagegen argumentiert, z. B. in „Lohn, Preis und Profit“. Aber immer wieder konnte er doch der taktischen Versuchung nicht widerstehen. Wir finden tatsächlich auch bei ihm immer wieder einmal eine Verelendungs-These.

Die entscheidende Aussageaber war: Der Kapitalismus hat inzwischen die Grundlage geschaffen, dass es allen gut gehen kann. Und der Sozialismus – was immer das ist und sein soll – muss die Gesellschaft so umbauen, das dies auch eintritt.

Dem haben sogar manche aus den Eliten zugestimmt. Sicher, da gab es die Malthusianer und sonstige extreme Reaktionäre, die dies einfach nicht wünschten. Aber da gab es auch die Leute wie Alfred Marshall, den britischen Professor, welcher Generationen von Ökonomen erzogen hat: „Mittlerweile stellen wir uns ernsthaft die Frage, ob es sogenannte ‚untere Klassen‘ überhaupt geben soll: d. h., ob wir eine große Zahl von Menschen brauchen, die von ihrer Geburt an zu harter Arbeit verdammt sind, um für andere die Erfordernisse eines verfeinerten und kultivierten Lebens zu erbringen“ (Marshall 1977 [1920], 2 f.).

Es geht also um eine neue Strategie. Sie muss aber in aller Klarheit festhalten, was wir ändern wollen, aber auch, was wir festhalten wollen – die Leistungen eines Systems bei der Innovation einerseits, aber auch in seiner Fähigkeit, die Menschen zu motivieren. Die sogenannten „realsozialistischen“ Systeme glaubten u. a., dies wegreden zu können. Das Ergebnis kennen wir.

  1. Oktober 2015